Angela blickt in den grauen Himmel und erblickt einen Vogel. Ach wie schön wäre es, auch dort oben zu sein, in Freiheit und ohne Last, denkt sie traurig. Du musst wissen, dass erst kürzlich ihre Mutter an Kerbs gestorben ist und sie jetzt bei ihrer Tante Sofie wohnt. Sie ist nun eine Waise. Ausserdem hat ihr Freund mit ihr Schluss gemacht und sie hat bald ihre Uni-Prüfungen. Ganz in Gedanken versunken geht sie weiter und kommt am Zoo vorbei. Da sie nichts Besseres zu tun hat, geht sie durch den mit Glyzinen gesäumten Eingang, um sich eine Eintrittskarte zu kaufen. Weil sie warten muss, blickt sie sich interessiert um. Da zieht etwas Buntes, Schimmerndes ihre Aufmerksamkeit auf sich und sie sieht genauer hin. Das was ihre Aufmerksamkeit erregt hat, ist ein kleiner Vogel, der seinen azurblauen Kopf neugierig durch die Käfigstäbe streckt. Er blickt sie aus dunklen, intelligenten Augen an. Er ist so süss, denkt Angela und ist ganz aus dem Häuschen. Ich glaube, ich nenne ihn Eros! Plötzlich kommen drei weitere Vögel, die gleich wie “Eros” aussehen, angeflogen. Sie beginnen fröhlich zu zwitschern und schmiegen sich aneinander. Angela lässt den Blick durch die Voliere schweifen. Es hängen überall Glöckchen und Spielzeuge und an der Wand ist ein Schild angenagelt worden. Auf dem Schild steht:
Blaugenick-Sperlingspapageien Diese Papageienart gehört zu der Gattung Neuwelt-Papageien. Die bunten Vögel sind sehr gesellig und verspielt. Sie werden in vielen verschiedenen Farben gezüchtet. In freier Wildbahn trifft man sie aber nur selten mit blauem Gefieder an. Alle Exemplare in unserem Zoo sind gezüchtet. Sperlingspapageien zählen zu den intelligentesten Papageienarten und können sehr gut als Haustiere gehalten werden.
Einer der Vögel, dessen Gefieder einen leichten Grünstich hat, beginnt seinen Schnabel an Eros zu reiben. “Papageien drücken so ihre Zuneigung aus.” Angela dreht sich ruckartig um und blickt in die wachen Augen einer älteren Dame, die ein Kärtchen an ihrer Jacke befestigt hat. Darauf steht: Lydia Fröhlich, Tierpflegerin Sie öffnet die Käfigtür und zwinkert Angela zu: “Möchtest du mit reinkommen?” Angela ist verdutzt, sagt dann aber “Ja, gerne” und schiebt sich durch die halboffene Tür der Voliere. Die Papageien zwitschern und flattern aufgeregt auf. “Alles gut, sie machen dir nichts”, sagt Lydia, als Angela erschrocken einen Schritt zurücktritt. Lydia geht auf die Papageien zu und streckt Eros den Finger hin. Der kleine Vogel legt den Kopf schief und flattert auf den Finger der hellhaarigen Frau. Als Lydia sich mit schelmisch blitzenden Augen umdreht, bemerkt Angela erstaunt, dass die Augen der älteren Dame, genau die selbe Farbe haben, wie das blaue Gefieder von Eros. “Das ist Venus, sie ist erst letztes Jahr geschlüpft.” Angela muss lachen: “Ich hätte sie Eros genannt.” “Das kann ich gut verstehen, sie ist wirklich süss.” sagt Lydia, die einen liebevollen Blick auf den zierlichen Vogel wirft. “Ich habe sie selbst aufgezogen, da ihre Mutter an Vogelmilben gestorben ist. Willst du sie halten?” Angela ist ganz verblüfft: “Darf ich das denn?” “Natürlich”, Lydia grinst, “meinst du ich hätte sonst gefragt?” Sie zeigt Angela wie man Venus halten muss, gibt ihr den kleinen Vogel in die Hand und entfernt sich langsam. Venus piepst leise und dreht sich in Angelas Hand. Angela lächelt zufrieden. Währenddessen säubert Lydia die Voliere. Plötzlich winkt sie Angela zu sich. “Schau mal, das erste ist geschlüpft”, sagt sie und späht in einen Nistkasten hinein. Angela setzt Venus auf einem naheliegenden Ast, der von der Decke hängt, ab und linst in den Nistkasten. Tatsächlich, ein kleines Etwas sitzt dort auf einem Polster aus Daunen. Es sieht nicht besonders niedlich aus, mit seinem kahlen, überdimensionalen Kopf und den geschlossenen Augen. Aber trotzdem hat es etwas an sich, das einen Beschützterinstinkt weckt. Es piepst leise und einer der Vögel flattert hektisch auf. Schnell entfernen sich Angela und Lydia, um Platz zu machen. Der Vogel fliegt sofort in den Nistkasten. Angela guckt nochmal hinein und sieht, dass der Vogel die Flügel besitzergreifend über dem Küken ausgebreitet hat. “Das ist Saphira, sie ist die Schwester von Venus.” flüstert die Tierpflegerin, um die brütende Vogelmutter nicht zu stören. Leise kehren die beiden dem Nistkasten den Rücken zu. Da blickt Angela auf ihre Uhr und erschrickt: schon so spät, sie sollte schon längst zu Hause sein und hätte noch einkaufen müssen. “Ich muss jetzt gehen, war schön dich kennenzulernen!”. Angela stresst aus dem Vogelkäfig, flucht und rennt zur Bushaltestelle vor dem Zoo. Als sie keuchend dort ankommt, fährt der Bus gerade ab. “Verflixt! Warum muss ich immer Pech haben.” Entnervt holt sie ihr Handy hervor und will gerade ihren Vater anrufen, als sie sieht, dass sie einen verpassten Anruf von einer unbekannten Nummer hat. Sie verdreht die Augen und drückt die Rückruftaste. Es klingelt zweimal, dann nimmt ein junger Mann ab. “Hallo, hier ist Jasper. Wer ist da?”
Angela erschrickt: Jasper, der beliebteste Junge an der Schule hatte sie angerufen. “I-Ich bin’s, Angela. Du hast mich angerufen …”
“Oh ja, genau, ich wollte dich fragen, ob wir heute Abend ausgehen wollen? Du hast mir ja neulich beim Lernen geholfen und jetzt will ich mich revanchieren!”
Angelas Wangen werden knallrot: “Ja … ja ich würd mich freuen. Wo treffen wir uns?” Die Leitung bleibt stumm, Jasper scheint zu überlegen. Dann sagt er: “Weisst du was? Ich hol dich einfach ab, dann können wir hingehen, wohin wir wollen.”
“Ok ,voll. So um sieben?”
“Ja, das würde passen … Ich muss jetzt auflegen, ok? Bye”
“Bye, bis später,” Angela reisst die Augen auf. Jasper will mit ihr ausgehen! Sie rennt zum Supermarkt und kauft schnell alles ein. Der Bus kommt gerade, als sie bei der Haltestelle ankommt. Perfektes Timing, denkt sie zufrieden. Als sie aussteigen muss, geht sie schnell nach Hause. “Ich hab heute ein Date, Sofie!” Aufgeregt kommt ihre Tante angetänzelt: “Lass die Einkäufe einfach liegen, ich mache das, mach du dich bereit!” Dankbar stellt Angela die schwere Tasche ab und verschwindet in ihr Zimmer.
Sie probiert verschiedene Outfits durch, bis sie sich endlich für eine Jeans und einen roten Pulli entscheidet. Darüber zieht sie ihren dunkelgrauen Mantel und einen Seidenschal an. Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr: Schon fast sieben! Sie hat gerade noch Zeit für ihr Make-Up, dann klingelt es. Sie eilt nach unten. Atemlos reisst sie die Tür auf und steht Jasper gegenüber. Plötzlich wird sie ganz rot: “Hey” Er sieht sie lange an und erwidert dann: “Hey Angela, können wir los?” Sie tritt aus dem Türrahmen und stolpert. Jasper fängt sie auf. “Alles gut bei dir?” Angelas Wangen scheinen in Flammen zu stehen, als sie atemlos antwortet: “Ja alles okay. Danke dass du mich aufgefangen hat.”
“Du siehst gut aus …” sagt Jasper. Er nimmt ihre Hand. Angela lächelt schüchtern.
Und jetzt lassen wir die beiden alleine – fürs Erste. Macht euch auf eine Fortsetzung gefasst! Das war übrigens eine Geschichte zur Schreibübung Assoziatives Denken. Ich wollte eine Geschichte zum Wort “Vogel” schreiben.
Viel Spass noch
Undomiel